Mai 23

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Future Skill: Verspieltheits-Kompetenz

By Bianca Merz

Mai 23, 2023

growthmindset, mindset, newwork, spieldeinleben

Es ist früher Dienstagmorgen im Val Poschiavo. Mein Blick schweift über das Tal. Ich geniesse einen lokalen Kräutertee und höre einem Hahn zu, der sich wohl zum Ziel gesetzt hat, sämtliche Lebewesen bis zum Berninapass hinauf zu wecken und für den Tag zu begeistern.

Meine Prägungen aus dem 20. Jahrhundert

Meine Gedanken schweifen zurück ins Jahr 1986. In mein damaliges Klassenzimmer. Wir haben gerade Zeichenunterricht:

An der Wand im Rücken von uns 25 Schulkindern hängen ebenso viele gelb-grelle Bilder von gespachtelten Forsythien. Vor uns auf dem Lehrerpult steht ein ausgestopfter Hahn. Der Auftrag an diesem Nachmittag: den Hahn nach zu zeichnen.

Eigentlich ein tolles Projekt. Und eigentlich erhielten wir mit dem Zeichenunterricht einmal die Woche die Option, uns mit unterschiedlichen Techniken und Materialien zu beschäftigen und unsere Kreativität zu stärken.

Eigentlich: denn meine hatte es in diesen Jahren durch damaligen Haltungen und Werte abgewürgt. Wir wurden erzogen und genormt
– “richtig” zu malen,
– „richtig” Geschichten zu erzählen ,
– „richtig” sich zu verhalten (nicht zu still – nicht zu vorlaut).
So wurden beispielsweise alle von uns gemalten Bilder jeweils so lange korrigiert, bis sie der Norm entsprachen und alle identisch waren. Je kreativer und individuell-bunt man war, desto schlechter die Note und desto mehr Aussagen hörte man wie “du wirst nie eine Künstlerin werden”. Ich wusste an jenem Nachmittag, dass wir in wenigen Stunden 25 identische Hahn-Bilder an die Wand hängen würden und aus Verwechslungsgefahr nicht vergessen durften, die Namen auf der Rückseite zu ergänzen. Also schön brav nachzeichnen und die kreativen Impulse unterdrücken.

Das ist nur ein Beispiel, wie mir die Schule in Erinnerung blieb. Und dennoch war nicht alles schlecht und war ich eine gute Schülerin und hatte das Glück, dass mir vieles leicht fiel und ich sehr interessiert war. Und ich wusste, wie ich mich an die Vorgaben halten musste, um zu performen…

Ohne Fleiss kein Preis! 

In meinem heutigen Blogpost geht es mir weder darum, den Lehrer noch sonst jemanden dafür die Schuld zu geben. Es ist vielmehr ein Beispiel dafür, aus welcher Zeit mit entsprechenden Werthaltungen nicht nur ich sondern auch etliche (auch jüngere!) Menschen kommen. Aus einer Zeit, in der man reüssierte, wenn man die Leistungserwartungen anderer erfüllte. Als Pflicht, Fleiss und Ordnung die wichtigsten Skills für Erfolg waren. Als viele Aufgaben Routine, messbar und überschaubar waren.

Nach der Schulzeit ging es darum, Status zu erreichen mit dem Versprechen, ein bisschen mehr Freiheit Richtung Selbstbestimmung zu gewinnen. Wer über hohe kognitive Skills verfügte, war im Vorteil und kletterte auch leichter die Führungsstufen hinauf.

Und heute, 40 Jahre später, in einer Welt, die immer komplexer und schnellebiger erscheint, sind die damals anerzogenen Skills nicht mehr ausreichend, teils sogar behindernd.

Vielmehr benötigen wir Skills wie Kreativität, Lösungsorientierung, kritisches Denken oder auch Wissen organisieren (siehe 21st Century Skills uvm). Aus diesem Grund boomen auch Schulungen zu Techniken, Skills und Methoden der Future Skills und werden zunehmend in Unternehmen eingesetzt. Doch dies reicht nicht aus. Denn wenn die Haltung dieselbe bleibt, gestalten wir auch mit den kreativsten Ansätzen und Tools keine zukunftsfähigen Lösungen.

Weniger Struktur im Aussen bedingt mehr Struktur im Innen

Dazu kommt, dass in Organisationen zunehmend Strukturen im Aussen abgebaut werden und Themen wie Selbstorganisation aktuell werden. Und der Wert “Leichtigkeit” beinahe inflationär gebraucht wird. Zum Glück! Und doch herrscht Überforderung. Nun dürfen oder vielmehr sollen Mitarbeitende eigenständig entscheiden, wissen wer sie eigentlich sind und was sie können und wollen und wie sie sich wo am besten einbringen. Und das alles noch spielerisch, mühelos und locker.

Selbstbestimmung ist gefragt. Fremdbestimmung wurde erzogen und genormt. (Ausnahmen gibt und gab es glücklicherweise immer).

Mir fällt diese insbesondere an dem Beispiel auf, dass ich immer mal wieder gefragt werde: welche Ausbildung denn wohl gefragt wäre und die Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen würde (siehe dazu mein Blogpost vom Februar 2023).

Ohne Fleiss kein Preis?

Wir benötigen mehr Leichtigkeit, mehr Spiel, so wie das in uns angelegt ist. Ich habe die vergangenen Jahre intensiv daran “gearbeitet”, das Spielen und die Kreativität, die ich im Laufe des „Erwachsenwerdens“ zurückgelassen habe, um mit dem „Ernst des Lebens“  klarzukommen, wieder zu finden. Und lange habe ich mir Verspieltheit nicht zugestanden, denn ich glaubte (und glaube es zwischendurch auch immer mal wieder), dass – wenn ich als ernsthafte Person wahrgenommen werden will – vieles, was mich als Mensch ausmacht, nicht sein darf. Und immer wieder wird mir dann bewusst, dass ich mir da ja nur Sorgen darüber mache, was andere über mich denken könnten. Und dass diese Gedanken nichts bringen, wissen wir seit den Stoikern und dank Stephen Coveys‘ Übung “Circles of Concern”.

Kann man Verspieltheit ernst nehmen?

Mir hilft, mir immer wieder bewusst zu machen, dass Verspieltheit – ebenso wie alle anderen Tugenden – unterschiedliche Ausprägungen aufweist. Während sie unbeschwert sein kann, kann sie die höchste Form der Ernsthaftigkeit sein. Nämlich jene Verspieltheit, die jenseits der Ernsthaftigkeit liegt. Oder in den Worten von Johan Huizinga:

„In play we may move below the level of the serious, as the child does; but we can also move above it – in the realm of the beautiful and sacred.“

Das Leben wieder spielen lernen!

Vor zwei Jahren bin ich “zufällig” Nando Stöcklin begegnet und bin seither nicht nur fasziniert von seinem Projekt “Spiel dein Leben” und sein Engagement für unsere Gesellschaft im Wandel, sondern inzwischen auch ein ganz kleiner Teil des Projektes.

Vergangenes Wochenende durfte ich zwei Tage in Nandos Innerwork-Kunst eintauchen. Von der spiel-erfüllten Erfahrung und wie wir es schaffen können, uns vom überholten Homo Faber aus dem 19./20. Jahrhundert zum Homo Ludens zu entwickeln, schreibe ich beim nächsten Hahn-Gekrähe.

Innerwork ist längst wissenschaftlich belegt

Bevor ich den heutigen Blogpost abschliesse – der Hahn ist übrigens  inzwischen ruhig 🙂 – eine Erkenntnis, welche seit rund 40 Jahren wissenschaftlich belegt ist (MIT und London School of Economics). Dass das, was Menschen motiviert und sie zu Höchstleistungen bringt wenig mit extrinsischer Motivation zu tun hat. Dass der Grundsatz “Tu dies und du bekommst das (diesen Bonus)” längst überholt und falsch ist und nichts Nachhaltiges generiert. Und doch wird dieses Vorgehen noch in etlichen Unternehmen gelebt und Kinder werden so erzogen, Ein Update ist längst überfällig. Man sieht es an allen Ecken und bröckelnden (Unternehmens)Enden..

In den Worten von Daniel H. Pink der seit Jahren mit Nachdruck auf die wissenschafltichen Erkenntnisse aufmerksam macht klappe ich nun den Laptop zu und gönne mir einen kreativen Bergluftspaziergang:

„The future belongs to a different kind of person with a different kind of mind: artists, inventors, storytellers-creative and holistic ‘right-brain’ thinkers whose abilities mark the fault line between who gets ahead and who doesn’t.”

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