152 Jahre alt ist er. Und er ist mein zuverlässigster Nachbar. Er ist immer da, wenn ich eine Frage habe oder mich nur an ihn anlehnen möchte.
Die Rede ist vom Mammutbaum im Belvoirpark. Wenn ich einen schwierigen Entscheid zu fällen habe, suche ich die Nähe des Baums. Da gelingt es mir in der Regel, geerdet zu sein und mich nicht ausschliesslich von veralteten Vorstellungen im Kopf verleiten zu lassen, sondern vielmehr eine möglichst ganzheitliche aus Kopf-, Herz- und Bauchintelligenz bestehende Entscheidung zu fällen.
Ein Ausflug in die Botanik
Was mich an dem Baum fasziniert, ist nicht nur seine Grösse und Beständigkeit, sondern auch, wie er bei den gröbsten Stürmen stabil bleibt. Einzig im Januar 2020 als Zürich von einem heftigen Schneesturm heimgesucht worden war, musste er ein paar Äste lassen.
Das Mysterium der Mammutbäume
Mammutbäume (dazu gehören diverse Sequoia-Arten) können über tausend Jahre alt und über 100 Meter hoch werden. Den Weltrekord in der Länge hält Hyperion in Kalifornien mit einer Höhe rund 116 Metern. Vor 20 Jahren war ich im Redwood-Nationalpark in Kalifornien und bestaunte die Riesen. Und fragte mich damals bereits, wie es ihnen trotz ihrer gewaltigen Masse gelingt, auch bei starken Stürmen und in Kalifornien nicht unüblichen Erdbeben stabil und ausbalanciert zu bleiben.
Und da kommt das Mysterium, denn dieses liegt unter der Erde. Mammutbäume bzw. die Redwoods sind sogenannte Flachwurzler und treiben ihre unterirdischen Ausläufer nur etwa einen Meter in die Tiefe. Wie das hält? Dank Kooperation! Unter der Erdoberfläche strecken die Bäume ihre Wurzeln so weit aus, bis sie die Wurzeln der benachbarten Bäume erreichen. Haben sie sich gefunden, verbinden sie ihr Wurzelwerk dauerhaft miteinander. Sie haken sich unter, stützen und stabilisieren sich gegenseitig.
Der Mammutbaum im Belvoirpark gehört zu den Herzwurzlern. (Was für eine berührende Bezeichnung!) Dies bedeutet dass sich seine Wurzeln in mehrere Richtungen entwickeln im Sinne einer Mischform. Einige kräftige Wurzeln wachsen schräg nach unten und verzweigen sich gleichzeitig seitlich. Herzwurzler sind extrem anpassungsfähig und entwickeln ihr Wurzelsystem nach den Gegebenheiten.
Und was hat diese Botaniklektion nun mit Innerwork zu tun?
Für mich ist es eines von vielen Beispielen wie wir uns zwingend wieder vermehrt an der Natur orientieren sollten und müssten.Wir sind ein Teil der Natur. Wir sind Natur. Lernen für den Alltag und den Führungsalltag aus diesen Beispielen können wir:
– dass wir nicht nur das eigene Wohl, sondern das aller im Blick haben und kooperieren – dies macht schlussendlich alle stärker
– dass wir uns nicht nur am Aussen entwickeln und Betrachen, sondern auch das auf den ersten Blick nicht sichtbare – das Innere – erforschen und entwickeln und dadurch unsere Bewusstheit, unseren Halt und unser Mindset stärken und vertiefen
– dass wir flexibel sein können, wenn sich die äusseren Gegebenheiten ändern
– und nicht zuletzt: je stärker im Innen wir sind, desto weniger bringen uns Stürme im Aussen in Schieflage
Achtsames Unterwegssein
Vielleicht konnte ich dich ermuntern, auf deinem nächsten Spaziergang die Bäume mit anderen Augen zu sehen? Seit ich das mit den Herzwurzlern heute gelesen habe, finde ich „meinen“ Mammutbaum noch viel bewundernswerter und freue mich noch mehr auf den nächsten Besuch – ziemlich sicher morgen früh bereits :-).
Abschliessend zu diesem Ausflug in die Botanik ein wunderbares Zitat von Marcel Proust:
„Die wahre Entdeckungsreise besteht nicht darin, neue Landschaften zu suchen, sondern mit anderen Augen zu sehen.“