Dezember 22

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Mehr als eine Reise: Vom Wind Patagoniens bis zur Milchstrasse über der Isla del Sol

By Bianca Merz

Dezember 22, 2024

innergrowth, Lateinamerika, Patagonien, Prägung, Reisen

Die Anfänge: Reisen, die tief führen

In meinen Zwanzigern zog es mich immer wieder nach Lateinamerika – nicht nur, um die Landschaften zu bestaunen, sondern um sie wirklich zu er-leben. Es waren Reisen, die mich nicht nur von Ort zu Ort, sondern tief in mich selbst führten – was mir ehrlich gesagt erst etliche Jahre später wirklich bewusst wurde. Vom Rauschen des Windes in der unendlichen Weite Patagoniens bis hin zum Sternenhimmel über dem Titicaca-See, den ich in einer dunklen Nacht auf der Isla del Sol erlebte. Dort, in einer einfachen Hütte bei einheimischen Gastgebern, sah ich die Milchstrasse so klar und eindrucksvoll wie nie zuvor und danach– und spürte eine Ergriffenheit, die mich bis heute begleitet.

Zeit für Tiefe

Ich war jeweils längere Zeit unterwegs, oft Wochen oder Monate, denn ich wusste schon damals: Um wirklich etwas zu erleben, braucht es Zeit. Zeit, um nicht nur zu sehen, sondern zu verstehen. Zeit, um Begegnungen nicht flüchtig, sondern in ihrer Tiefe zu erfahren.

Sprachunterricht und Alltag in Bolivien

Ich habe Spanisch (gerade genug um zum Reisen) in Bolivien gelernt – in einer kleinen Sprachschule mit Privatstunden, die so persönlich waren, dass sie weit über den Unterricht hinausgingen. Gleichzeitig lebte ich bei einer Gastfamilie, die kein Englisch sprach, und tauchte so in ihren sehr einfachen Alltag ein. Die Ausflüge in der Region rund um Cochabamba unternahm ich teils alleine, teils mit anderen – und entdeckte dabei, wie viel einer Kultur sich in den Stimmen, Farben und sehr variantenreichen Düften eines Marktes widerspiegelt.

Humor und Anpassung an das Ungewohnte

Lateinamerika lehrte mich aber auch, mich an völlig neue Umstände anzupassen – da half oft auch eine gute Portion Humor. Die ungewohnte Küche und die Gerüche waren für meinen Magen und meine Verdauung beinahe stetig eine Herausforderung, aber ich lernte schnell, dass auch hier die Natur eine Antwort parat hat. Bananen bei Durchfall, Papaya bei Verstopfung, Coca-Blätter bei Höhenkrankheit – und argentinischer Rotwein sowie Alfajores bei Heimweh…. :-). Diese kleinen Lektionen sind Teil der Erinnerungen, die mich immer wieder zum Schmunzeln bringen – und die mich gleichzeitig dem Leben dort ein Stück näher brachten.

Wale, Pinguine und Patagonien

Ein unvergessliches Erlebnis war auch meine Begegnung mit den Ballenas Francas in der Region Puerto Madryn, die ich mehrmals hautnah erleben durfte. Diese majestätischen Wale, die so ruhig und dennoch kraftvoll durch das Wasser gleiten, waren aus nächster Nähe einfach überwältigend. Ebenso die Pinguine, die ich in der Region beobachtete – zierlich und doch so lebendig, dass sie mich mit ihrer Unbeschwertheit immer wieder zum Staunen brachten. 

Zwischen Höhen und unendlichen Weiten

Im Dschungel Boliviens erlebte ich teils auch etwas unheimliche Nächte, die nie wirklich still wurden. Umgeben von einem endlosen Konzert aus Zikaden, Fröschen und sonstigen Tieren (war vielleicht auch gut, wusste ich nicht welche ;-), lag ich nachts schwitzend auf einer einfachen Pritsche und spürte, wie der Rhythmus dieses  pulsierenden Ortes mit mir verschmolz.

Dann war da der Chacaltaya, ein Berg in Bolivien, auf dem ich zum ersten Mal über 5.000 Meter Höhe erreichte. Ich spürte die dünne Luft, die meine Schritte verlangsamte, und die unbeschreibliche Weite, die sich vor mir ausbreitete. Es war nicht nur ein physischer Aufstieg, sondern ein Gefühl der Ehrfurcht vor der Unermesslichkeit der Welt.

Die Zugfahrt zur Nariz del Diablo in Ecuador war eine andere Art von Abenteuer. Es war ein Gaudi für Backpacker, ja, aber weit entfernt von Komfort oder irgendeinem geregelten Fahrplan. Es war das Chaos, die Improvisation und der Spass, die die Reise unvergesslich machten.

Und dann der Salar de Uyuni: die unendlichen Weiten des Salzsees, die sich nachts unter einem sternübersäten Himmel ausbreiteten. Es fühlte sich an, als würde man in einem Bild von Picasso stehen – umgeben von Farbenspielen, surrealen Gesteinsformationen und den neugierigen Blicken der Viscachas, die auf den Inseln des Salzsees leben.

Blaufusstölpel und  uralte Ruinen

Auf einer der Galápagos-Inseln begegnete ich den Blaufusstölpeln, deren leuchtend blaue Füsse wie eine Einladung ins Spielerische wirkten. Dort, in dieser abgeschiedenen Welt, begriff ich, dass die Natur den ersten Ton angibt – und wir nur staunende Besucher sein dürfen.

Und dann war da der Morgen in Machu Picchu. Noch vor dem Ansturm der Touristen stand ich in der Stille der ersten Sonnenstrahlen, die über die uralten Ruinen fielen. In diesem Moment spürte ich tiefe Demut gegenüber unseren Ahnen, deren Wissen und Visionen diese heiligen Orte schufen.

Nächte voller Rhythmen

Und dann denke ich auch an die Nächte in Neuquén, Argentinien, die wir durchtanzten. Die Energien und Rhythmen, das Lachen und die Leichtigkeit erfüllten die Luft, bis wir schliesslich mit frischen Medialunas aus der Bäckerei den nächsten Tag begrüssten. (Sogar ich als Lerche tanzte die Nacht durch – damals –  seither glaub nie wieder…) Es war eine andere Art, lebendig zu sein – voller Freude, Bewegung und Verbindung.

Was bleibt?

Diese Erfahrungen haben mich geprägt. Mehr als mir bisher bewusst war. Sie haben mir gezeigt, dass wahres Reisen (und Leben?) nicht darin besteht, eine Liste abzuhaken oder eine Route abzufahren. Es geht darum, offen zu sein, verletzlich zu sein, sich von einer anderen Kultur verändern zu lassen, anstatt sie nur zu konsumieren.

Heute sehe ich, wie viele diese Wege gehen, und ich freue mich darüber, weil Lateinamerika jeden berührt, der es erlebt. Aber ich spüre auch, dass das „Eintauchen“ oft einem schnellen Sprung gleicht – ein Ritual, ein Foto, ein Eindruck, dann weiter. Ich frage mich: Was bleibt? Welche nachhaltigen Spuren hinterlässt das Erlebte?

Ein Schatz für die Zukunft

Lateinamerika war schon immer ein Kontinent voller Magie und Vielfalt – und doch scheint es, als würde es für viele erst jetzt stärker in den Fokus rücken. Für mich war es nie nur ein Reiseziel, sondern ein Ort, den ich erfahren durfte– mit allen Sinnen und offenem Herzen.

Ich habe gelernt, dass es nicht darum geht, wie viele Orte man besucht hat, sondern wie tief man einen Ort wirklich spüren konnte. Lateinamerika hat mir beigebracht, die Welt mit anderen Augen zu sehen – mit offenen Augen und einem offenen Herzen. Das ist der Schatz, den ich bewahren möchte, und der Geist, den ich in meine Arbeit, meine Begegnungen und mein Leben einfliessen lasse.

Und eines Tages – das hoffe ich SEHR – werde ich zurückkehren. Aber nur, wenn ich ein paar Wochen Zeit habe – denn für mich braucht es Zeit, um etwas wirklich zu erleben. Vielleicht nicht, um die gleichen Orte noch einmal zu sehen, sondern um Lateinamerika mit den Augen und dem Herzen zu erleben, die ich heute habe.

Wer nur sieht, was an der Oberfläche glänzt, verpasst das Licht, das tief darunter verborgen ist. Und dieses Licht zu teilen – möglichst ohne es anzutasten – ist etwas von dem, was mich antreibt.

 

 

 

 

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