Schweissgebadet und mit Herzrasen schreckt sie hoch. Hach, es war nur ein Traum! Draussen ist es noch dunkel, erste Vögel starten sanft in ein Morgenkonzert. Langsam verblassen die inneren Bilder mit den drei Personen, die sie aufs Schlimmste beschimpfen und als Schmarotzerin bezeichnen. Sie beginnt regelmässiger zu atmen und beschliesst aufzustehen. Die frühen Morgenstunden eignen sich wunderbar, um sich in Ruhe den inneren Bildern zu widmen. Heute tut sie dies in Form von Schreiben, in der Hoffnung, mehr Verständnis und gleichzeitig Abstand zum Erlebten zu finden.
Schmarotzertum als Lebensbegleiter und Trigger
Das Thema „Schmarotzertum“ ist nicht nur ein Treiber in ihrem Leben, sondern auch ein Trigger. Sie wollte nie ein Schmarotzer sein und hatte daher schon vor ihrem 20. Lebensjahr ihren Lebensunterhalt vollumfänglich selbst bestritten. Auch später finanzierte sie all ihre Studien selbst. Als während des Lockdowns ihre Aufträge zusammenbrachen und vom Staat praktisch keine Ausgleichszahlungen erfolgten, investierte sie in weitere Weiterbildungen und schuf neue Angebote. Eine richtige Self-made Woman. So das Selbstbild. Das vermeintlich Ideale.
Die Kehrseite des Engagements
Der Lockdown und die entsprechenden Weiterbildungen hatten noch eine weitere Folge. Sie begann, sich vermehrt für das Gemeinwohl zu engagieren. Auch zuvor schon war sie grosszügig bei Anfragen von Menschen mit weniger finanziellen Ressourcen, doch nun investierte sie einen beachtlichen Teil ihrer Energie in das Explorieren und Erfahren von Neuem. Voller Freude, Elan und Überzeugung. Doch immer wieder nagt es an ihr, denn nahestehende Personen tragen teilweise direkt oder indirekt finanziell zu diesem neuen Lebensstil bei und fördern damit das Gefühl der Schmarotzerin an die Oberfläche.
Die morgendliche Erkenntnis
An diesem Morgen wurde ihr klar, dass sie diesen Teil nicht länger ignorieren, sondern näher betrachten muss. Mit anderen Menschen arbeitet sie gerne an den abgelehnten inneren Anteilen, um diese in ein gesundes Ganzes zu integrieren. Doch bei sich selbst sind diese Schattenanteile schwierig zu erkennen. Darum beschloss sie, sich dem Thema intensiver zu widmen. Nach über einer Stunde Schreiben und Forschen machte sie sich folgende Punkte bewusst:
1. Die tief verwurzelte nicht-lebensnahe Logik der Wirtschaftswissenschaft
Das Denken in der Logik der Wirtschaftswissenschaft hatte sich tief in ihre DNA gegraben. Obwohl sie praktisch sieben Tage die Woche in irgendeiner Form aktiv war, erbrachte vieles von ihrem Tun (noch) keinen ausreichenden finanziellen Gewinn und war demnach unwirtschaftlich. Wenn jemand beschliesst, etwas nicht aus wirtschaftlichen, sondern aus gesellschaftlichen, ästhetischen, moralischen oder politischen Gründen zu tun, bleibt es leider häufig „unwirtschaftlich“.Wie Ernst Schumacher in den 70er Jahren bereits meinte: Aus der grossen Anzahl von Gesichtspunkten, die im wirklichen Leben zählen und beurteilt werden können, stellt die Wirtschaftswissenschafft nur einen zur Verfügungen und zwar ob es jenen, die sich damit beschäftigen einen Geldgewinn bringt oder nicht. Und dies sass tief in ihr.
2. Erweiterte Definition des Schmarotzertums
Das Konzept des Schmarotzertums lässt sich jedoch über finanzielle Themen hinaus auf andere Bereiche des Lebens und der Gesellschaft ausweiten. Eine Person kann in bestimmten Aspekten des Lebens als „Schmarotzer“ angesehen werden, während sie in anderen Bereichen wertvolle Beiträge leistet. Hier die Definition von Schmarotzertum gemäss KI:
Finanziell: Personen, die ohne Gegenleistung oder Eigenanstrengung von den finanziellen Ressourcen anderer profitieren. Emotional: Menschen, die ständig emotionale Unterstützung von anderen verlangen, ohne selbst Unterstützung anzubieten. Sozial: Individuen, die von den sozialen Verbindungen und Netzwerken anderer profitieren, ohne selbst aktiv zur Pflege dieser Netzwerke beizutragen.
Wer also ist nicht in irgendeiner Form auch ein Schmarotzer – bzw. verfügt über schmarotzendes Verhalten? …Darum
Die entlastende Morgenerkenntnis
Ja, sie hatte teils schmarotzendes Verhalten. Und das kann eventuell hilfreich sein, um gerade die Einseitigkeit der Wirtschaftlichkeit sichtbar zu machen. Und es brachte sie in Verbindung. Mit sich … und mit anderen!
Es ist durchaus möglich, dass jemand finanziell abhängig ist, aber gleichzeitig in anderen Bereichen bedeutende und wertvolle Beiträge leistet. Beispiele dafür sind:
Empathie und emotionale Unterstützung: Eine Person mag finanziell abhängig sein, kann jedoch durch ihre emotionale Unterstützung einen erheblichen positiven Einfluss auf das Wohlbefinden ihrer Mitmenschen haben.
Kreativität und Innovation: Jemand könnte finanziell nicht selbstständig sein, aber durch kreative Ideen und innovative Ansätze wertvolle Beiträge leisten.
Soziale Gerechtigkeit und Aktivismus: Manche Menschen, die finanziell auf Unterstützung angewiesen sind, engagieren sich stark für soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz oder andere gemeinnützige Anliegen.
Schmarotzer in der Natur als Metapher für Menschen
Während des Schreibens kam ihr als naturverbundene Person sehr früh die Verbindung zu Schmarotzerpflanzen als inneres Bild auf, insbesondere das der Misteln. Misteln sind Halbschmarotzer, die zwar Photosynthese betreiben und eigene Nahrung produzieren können, jedoch Wasser und Mineralstoffe von ihren Wirtspflanzen beziehen. Trotz ihrer schmarotzigen Lebensart spielen Misteln eine wichtige Rolle im Ökosystem, indem sie als Nahrungsquelle und Lebensraum für eine Vielzahl von Tieren dienen. Misteln gelten zudem in gewissen Kulturen als heilige Pflanzen und sie werden auch heute noch in der Medizin verwendet um das Immunsystem zu stärken. Misteln sind also nicht nur botanisch und ökologisch interessant, sondern auch kulturell und medizinisch von Bedeutung. Sie sind ein eindrucksvolles Beispiel für die Komplexität und Vielfalt der Natur.
Anerkennung nicht-monetärer Beiträge – auch der eigenen 🙂
Mit diesen Erkenntnissen im Herzen öffnet sie – öffne ICH – die Tür zum neuen Tag.
In einer Welt, die oft von materiellen Massstäben dominiert wird, ist es von entscheidender Bedeutung, die unsichtbaren, aber dennoch kraftvollen Kräfte wie Empathie, Kreativität und soziales Engagement zu erkennen und zu würdigen. Diese sind die Bausteine eines gesunden und funktionierenden Gemeinwesens, das auf gegenseitiger Unterstützung basiert.
Platon sagte einst: „Das grösste Gut, das wir uns erwerben können, ist die Erkenntnis von dem, was wir sind, und was wir sein können.“ In diesem Sinne bestärkt mich diese Erkenntnis auch in meiner Arbeit als Possibility Expert, sich für eine tiefere, ganzheitlichere Sichtweise auf das Leben und unsere Interaktionen zu engagieren.
Wenn wir uns erlauben, die Vielfalt der menschlichen Beiträge zu erkennen und zu würdigen, können wir eine Welt gestalten, die auf Inklusion und gegenseitigem Respekt beruht. Jeder von uns hat eine einzigartige Gabe, einen Beitrag zu leisten, sei es finanziell, emotional, kreativ oder durch soziales Engagement. Indem wir diese Vielfalt feiern, können wir gemeinsam eine lebendige und blühende Gesellschaft aufbauen, in der jeder Einzelne seinen Platz hat und geschätzt wird.
In dieser Gewissheit gehe ich voran, mit dem festen Glauben daran, dass alles, was geschieht, letztendlich zu meinem Wohl dient . Sogar Alpträume am frühen Montagmorgen….:-)
Wie Byron Katie sagte: „Everything happens for you – not to you.“
‚Essere è parassitare‘ schrieb der Philosoph Michel Serres 1981 im Der Parasit. Soviel wie Dasein ist parasitieren