Juli 7

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Von Heldinnen und Zitronen: Frust, Erkenntnis und die Kunst der Selbstreflexion

By Bianca Merz

Juli 7, 2024


Die Schattenseiten der Möglichkeiten: Herausforderungen und sonntägliche Fragen einer Possibility Expertin

Als Possibility Expertin fokussiere ich mich auf das Mögliche, Machbare und auf nachhaltig-bewusste, zukunftsorientierte Projekte. Dennoch sehe ich auch die oft ebenso reale Kehrseite, die mich herausfordert und manchmal sprachlos zurücklässt. So wie folgende Beispiele. Die imfall nicht erfunden sind ….:

Ein Bekannter war stolz, mir zu erklären, dass er dank seines E-Autos nun klima“neutral“ unterwegs sei und daher plane, sich einen ebenso umweltfreundlichen Zweitwagen anzuschaffen. Eine Kollegin teilte mir per WhatsApp mit, dass meine Ideen zum nachhaltigen Reisen sie inspiriert hätten, woraufhin sie zwei Kurzurlaube in Hotels mit Sustainability-Gütesiegel auf den Balearen und in Portugal gebucht hatte – allerdings beide Ziele erreichte sie per Billigflieger. Und dann war da noch dieser Manager aus meinem Case-Management, der eine zuviel, der mich dazu brachte, mein sicheres Einkommen zugunsten meiner eigenen psychischen Gesundheit aufzugeben. Obwohl er alternative und ökonomisch umsetzbare Potenziale hatte, weigerte er sich, sich auch nach dem zweiten monatelangen krankheitsbedingten Ausfall neu zu orientieren. Seine Begründung: das „sichere“ ungewöhnlich hohe Einkommen in einem grossen Schweizer Unternehmen mit entsprechenden Sozialleistungen, die ihn immer wieder auffingen.

Warum ärgere ich mich darüber? Warum kann ich das nicht einfach ignorieren?
Kommt dir das bekannt vor? Fragst du dich manchmal auch, warum dich das Verhalten von anderen so triggert und dich an der Menschheit zweifeln lässt?

Diese philosophischen und gleichzeitig für mich brennenden Fragen führen mich an diesem regnerischen Sonntag zu drei Aspekten: Verantwortung, das ökonomische vs. das ökologische Denken und Selbstreflexion.

Verantwortung

Ja, ich gebe es zu; Ich habe schon immer Schwierigkeiten mit Menschen gehabt, die sich ständig als Opfer der Umstände sehen und gleichzeitig hohe Ansprüche an die Gesellschaft, Arbeitgebende und Sozialversicherungen stellen. Diese Menschen nehmen selten aus eigenem Antrieb an Weiterbildungen teil oder bezahlen dafür. Dabei spreche ich hier nur von denjenigen, die eigentlich die Ressourcen und Fähigkeiten dazu hätten, also „gesund“ sind. Dies hat mich manchmal in meiner Rolle als HR-Leiterin oder eben auch als Case-Managerin … oder auch als Kollegin und Bekannte an meine Empathie-Grenzen gebracht. Oder tut es heute noch – einfach seltener …

Ökonomie vs. Ökologie: Ein falsches Dilemma

Wir haben, finde ich, eine seltsame Angewohnheit entwickelt: Wir stellen die Ökonomie über die Ökologie, als wären sie Gegensätze. Dabei funktioniert ohne eine gesunde Ökologie gar nichts. Unsere Wirtschaftssysteme hängen letztlich von den natürlichen Ressourcen ab. Sowohl im grossen wie im kleinen. Doch in unserem Streben nach Wachstum und Profit vergessen wir oft, dass wir dabei die Grundlage unserer Existenz gefährden.

Ein Beispiel aus meiner Coachingpraxis verdeutlicht dieses paradoxe Denken besonders gut. In Sitzungen erlebe ich, dass Menschen sich ständig weiter verausgaben – metaphorisch die „Zitrone“ noch weiter auspressen – anstatt auf ihre persönliche Ökologie zu achten. Sie ignorieren die Notwendigkeit von Pausen, Erholung und nachhaltigem (effektivem statt ausschliesslich effizienten) Arbeiten, um kurzfristige Erfolge zu erzielen. Diese Haltung führt jedoch langfristig zu sinkender Produktivität.

Warum handeln wir so irrational? Laut dem Nobelpreisträger Daniel Kahneman liegt es daran, dass wir gegenwärtige Einschränkungen nicht akzeptieren wollen. Wir scheuen uns davor, sofortige “Opfer” (was für ein Wort nur schon …) zu bringen, selbst wenn dies für langfristige Vorteile notwendig wäre. Dieses Verhalten beobachten wir nicht nur im persönlichen, sondern auch im globalen Massstab: Wir zögern, Massnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen, weil sie uns im Hier und Jetzt unbequem erscheinen, obwohl die Kosten des Nichtstuns ungleich höher sind.

Es ist an der Zeit, unser Denken und Tun zu ändern. Sowohl in unserem persönlichen Leben als auch in der globalen Wirtschaft. Nur so können wir sicherstellen, dass wir nicht die Ressourcen und die Gesundheit opfern, die wir für eine lebenswerte Zukunft brauchen.

Und zu guter Letzt noch zum Trigger. Der ja wie immer viel – und fast ausschliesslich mit mir zu tun hat …

Projektion: Innere Konflikte und ihre äussere Manifestation

Projektion beschreibt das psychologische Phänomen, bei dem wir unsere eigenen unerwünschten Gefühle, Wünsche oder auch Gedanken unbewusst auf andere Menschen oder die Aussenwelt übertragen. Wenn uns etwas im Aussen besonders stark triggert, liegt die Ursache oft darin, dass dieser Reiz etwas in uns anspricht, das wir verdrängen. Beispielsweise weil sich andere Menschen den Sozialsystemen einfach zumuten und ich mir das nicht erlaube. Oder auch der Fakt, dass ich selber ja nicht annähernd ausschliesslich nachhaltig denke oder handle!

Carl Gustav Jung formulierte es treffend: „Alles, was uns an anderen irritiert, kann uns zu einem besseren Verständnis unserer selbst führen.“

Das heisst jetzt nicht, dass ich genauso werden muss. Aber es hilft mir bewusst zu werden, was ich verdränge. Und so kann ich nicht nur mehr über mich lernen, sondern auch eine tiefere Empathie und Verständnis für andere entwickeln.

Das Kennenlernen von uns selbst ist ein Weg, um harmonischere Beziehungen zu unserer Umwelt aufzubauen. Was nicht bedeutet, dass ich nicht auch Grenzen ziehen darf und kann. Zu Menschen, deren Verhalten oder Gedanken. Und darum auch Kontakte abbrechen oder Jobs kündigen kann.

Meine vorläufige Quintessenz …

Am Ende des Tages ist es wie mit Zitronen: Manchmal sind sie sauer, manchmal süss, aber immer voller Möglichkeiten. Wenn wir lernen, die Säure der Realität mit einem Hauch von Humor zu betrachten, können wir nicht nur unseren eigenen Weg finden, sondern auch die Welt ein bisschen heller machen. Denn ob Heldin oder Zitrone, wir alle haben die Wahl, wie wir unseren Saft pressen und mit wem wir diesen geniessen!


Ich wünsche dir einen wunderbaren Sonntag mit spannenden Fragen, die dich beschäftigen mögen, und einem entweder kühlen, erfrischenden Zitronensaft oder einem wärmenden, belebenden Tee (den ich mir nun gönne … inkl. Zitronenkuchen ;-)).

Casa del té, Monte Verita, Juli 24

 

 

 

 

 

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  • Danke für diesen Insights liebe Bianca, höchst spannend. Ich kann Menschen, die sich in der Opferhaltung aufhalten nicht ausstehen, denn sie ermüden einem. Das berühmte Calimero Syndrom, das früstiert mich. Erfreuen tue ich mich daran, mich mit Menschen auszutauschen, die Spannendes und Weiterbringendes von sich geben 🙂

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