Erfahrung aus einem VR-Assessment
Vor etwas mehr als zehn Jahren sass ich in einem dieser USM-möblierten Konferenzräume in Zürich, in denen das Mineralwasser ordentlich aufgereiht steht und die Luft ein bisschen nach Hochglanzbroschüre riecht. Ich war eingeladen zu einem Assessment für ein Verwaltungsratsmandat. Ein Gremium, das gemäss Ausschreibung unter anderem das Ziel hatte, Diversität zu fördern. Das Gremium hatte ich noch nicht kennengelernt, die wollten sich erst nach den ersten Gesprächen und Assessments einklinken. Sprich erst bei einer Shortlist.
Ich füllte Tests aus und sprach mit Assessoren. Am Ende wurde ein Profil erstellt. An diesem bereits zweiten Gesprächstermin sagten die beiden Chef-Assesoren: „Ihr Profil passt sehr gut und wir werden Sie empfehlen.” Nicht, weil ich besonders laut oder analytisch wäre; sondern, weil ich trotz meines Ausbildungshintergrunds in Betriebsökonomie eher “rechtshirnig” bin: intuitiv und empathisch, Ich sehe Zusammenhänge auch über einzelne Disziplinen hinaus und spüre Stimmungen. War und bin nach wie vor zwar nicht die Detailverliebte und auch nicht die Routinefreundin, aber jemand, der u.a. spürt, wo Bewegung entstehen kann.
Die Assessoren meinten, genau das fehle im bestehenden Gremium. Dieser etwas andere Blick, diese etwas andere Art, dennoch mit der nötigen fachlichen Professionalität und Erfahrung. Ich ging nach Hause mit einem guten Gefühl:
Die Entscheidung
Ein paar Tage später kam der Anruf der Executive Search Beratung. „Es tut mir sehr leid; Sie werden nicht zu einem Gespräch eingeladen.“ Der damals ausschliesslich aus älteren Männern bestehende Verwaltungsrat suchte konkret jemanden für das Ressort People Management, und es war ihnen ein Anliegen, Diversität zu fördern. Schlussendlich dann wählten sie eine Frau mit grosser Erfahrung als CFO; sichtbar präsent im Aussen, mit ausgeprägter Bühnen- und Auftrittserfahrung aus ihrem politischen Engagement.
Ich bin sicher, diese Frau hat da einen guten Job gemacht. Und vielleicht hätte ich tatsächlich nicht gepasst. Vielleicht wäre ich in diesem Gremium nicht zur Wirkung gekommen und hätte mich total überfordert. Das ist sehr sehr gut möglich! Aber interessant bleibt für mich, was die Entscheidung, ohne dass ich zumindest einen Auftritt haben konnte, sichtbar machte: Man suchte jemanden für HR, entschied sich jedoch für Finanzknowhow, was bereits genügend vertreten war.
Der Verwaltungsrat, der Diversität wollte, hatte sich aus meiner Sicht nicht divers sondern konform entschieden. Und ja, es wurde eine Frau gewählt. Nur: eine Frau, die von ihrer Berufserfahrung und ihrem Auftreten her sehr ähnlich den bestehenden Profilen war; halt einfach in weiblicher Form.
Da wurde mir klar: Manchmal heisst Diversität nicht Vielfalt der Perspektiven und Disziplinen, sondern manchmal auch eine andere Verpackung für dasselbe Muster. Eine Frau, die ähnlich denkt, fühlt sich vertrauter an als eine, die anders sieht allenfalls?
Meine Reflexion
Diese Erfahrung hat mir einiges über Gremien und darüber, was gesagt wird und eben nicht gelebt, gelehrt. Darüber, wie schwer es ist, wirklich Unterschiedliches einzuladen; nicht nur im Geschlecht, in der Herkunft oder im Alter, sondern auch in Denkstilen, Erfahrungen und Perspektiven. Diversität ist kein Etikett. Sie ist ein lebendiges Geflecht aus Unterschieden, das erst dann Kraft entfaltet, wenn man bereit ist, wirklich Verschiedenheit zuzulassen. Und ja, das kann herausfordernd sein.
Ich war damals schon kurz enttäuscht und gekränkt. Doch rückblickend bin ich sehr froh. Ich hätte nicht da hinein gepasst und war wohl def. nicht das, was gesucht war.
Tja wie bei so vielen Themen; auch Vielfalt zeigt sich nicht auf Broschüren und grossen Worten; sondern am Tisch, an dem Unterschiede nicht nur Platz haben, sondern auch Bedeutung. Und es gibt sie ja, die Unternehmen und Gremien die das auch leben.