Neben meinen laufenden Führungscoachings und der gemeinsamen Entwicklung eines Teamworkshops für ein Unternehmen mit rund 45 Mitarbeitenden, war diese Woche in besonderer Weise dicht. Und zwar dicht an Eindrücken, an Gesprächen, an Begegnungen und an Fragen.
Ich durfte einige neue Menschen und Organisationen kennenlernen, die sich alle auf ihre Art und in ihren Systemen dem sozialen, ökologischen und kulturellen Wandel widmen. Nicht alles war mir vertraut und manches hat mich herausgefordert. Und gerade deshalb hat es Spuren hinterlassen. Und die halte ich nun gerne an diesem sehr heissen Sonntagnachmittag fest für mich. Und wer weiss allenfalls auch für dich.
Ein persönlicher Rückblick auf eine Woche voller Gespräche und Mit-Gesang
Manchmal beginnt ein Tag mit Zweifel. Der Freitag war so einer. Ich stand auf dem Gleis 22 am HB Zürich und fragte mich: „Bin ich hier richtig?!“
Relativ spontan hatte ich mich zu einer Vernetzungswanderung angemeldet, welche organisiert wurde durch HOLON (Netzwerk für integrale Entwicklung). Eingeladen waren diverse Organisationen aus der Schweiz, die sich mit nichts Geringerem als dem Leben selbst beschäftigen: ökologisch, sozial, spirituell. Dazu gehörten beispielsweise EconGood, Talent.ch, Stimmvolk.ch, Geomantie Schweiz, Integrale Politik (wo ich ja seit 3 Jahren auch mit-gestalten darf), Stiftung für integrale Friedensförderung u.a.
Überraschend tolle Gespräche und geteilte Ernsthaftigkeit
Beim ersten, oberflächlichen Blick sah ich viele graue Haare, Batikhosen kombiniert mit Sandalen und spürte leise meine innere Stimme raunen: Du bist zu jung (haha mit 51 und gefärbtem Haaransatz), zu anders (hmm mit abgelatschten Joggingschuhen), noch zu sehr im sogenannten klassischen “Business”kontext verhaftet?…
Doch wie oft trügt der erste Blick. Und wie!
Denn was sich dann entfaltete, war ein Reigen tiefgründiger Gespräche, kluger Gedanken, offenem Austausch und Humor. Und dann doch auch noch mehr „jüngeren“ Menschen! Da war der Theologe Matthias, der seine kirchlichen Fesseln gesprengt hat und heute nicht nur Bücher schreibt, sondern auch Unternehmen und Menschen – bspw. CEOs – durch Übergänge und in Krisen begleitet. Da war die Wirtschaftspädagogin Yolanda, die als Case Managerin echte Menschlichkeit ins System bringt und in St. Gallen Coachings anbietet. Oder auch Remy Holenstein, den ich aus der IP kenne, ein dipl. Natw. ETH, der sich in diversen Kreisen bewunderswert und sehr engagiert und Thomas, der Geschäftsstellenleiter der Gemeinwohlökonomie bzw. Neu EconGood Switzerland, der nebenbei auch Coach ist. Die Gespräche waren konzentriert, ehrlich, bewegend. Das hatte ich so nicht erwartet.
Singen verbindet; jenseits von Argumenten
Ein besonderer Moment war das gemeinsame Singen mit stimmvolk.ch.
Michael schlug die Trommel, Lydia begleitete uns mit der Gitarre. Wir sangen einfache Lieder. Manche kannten die Texte, andere summten leise mit, anderen waren einfach da.
Was dabei geschah, war erstaunlich: Es entstand Verbindung; ohne Diskussion, ohne Theorie. Und es erinnerte mich soo sehr an unseren Emergination-Raum früher in dieser Woche am Dienstagabend in Zürich im LeLabor. An unser Gespräch und gemeinsames Reflektieren über „Relating“ – Verbinden. Eine zentrale Fähigkeit in den Inner Development Goals. Verbindung entsteht nicht nur über Worte, sondern auch über Stimme, Rhythmus, Klang. Was das bei mir ausgelöst hatte, liest du hier.
Besuch bei Soyana
Am späteren Freitagnachmit besuchten wir Soyana in Schlieren. Ein Unternehmen, das vegane Produkte herstellt. Auch dort wurde u.a. kurz gesungen gemeinsam mit dem Geschäftsführer, der vor jeder Mahlzeit kurz innehält. Und ich war kurz in meine Kindheit zurückversetzt. Bei meinem Grosseltern auf dem Hof in Balterswil. In den 70ern. Auch da dankten wir vor jedem Essen bei einem gemeinsamen Gebet.
Der Geschäftsführer von Soyana sprach über Lebensmittel, die “leben”, über Achtsamkeit in der Produktion, über Verantwortung im Alltag und seine bewegte Erfahrungsgeschichte, die an der Uni Zürich begonnen hatte. Soyana – ein Unternehmen, das nicht nur Nachhaltigkeit produziert, sondern lebt . Und: ich habe einige neue Produkte kennengelernt, die ich neu in unseren vegetarischen Menüplan aufnehmen werde wie bspw. das Choco-Seidentofu-Dessert.
Zwischen Systemkritik und Zuversicht: was bleibt?
Nun; diese Woche hat mich nicht nur inspiriert, sondern auch erinnert: Es geht nicht darum, zurückzugehen. Nicht um Verzicht auf Technologie oder Effektivität, sondern um eine bewusste Integration. Wie verbinden wir das, was wir heute wissen, mit dem, was wirklich trägt? Und was dürfen wir wieder verlernen vor lauter Effizienz die ja sichtbar Menschen krank macht?
Ich habe für mich gemerkt und das hat mich ehrlich gesagt wieder zuversichtlicher gestimmt: Ich bin am Üben. Nicht perfekt, nicht fertig. Aber ich bin unterwegs und das nicht alleine.
Raus aus der Effizienzfalle – rein ins Erproben
Das Neue entsteht nicht im stillen Kämmerlein. Es braucht Räume, in denen Menschen sich austauschen. Über Wünsche, Zweifel, Ideen. Denn sonst rutschen wir zu leicht zurück ins Alte: in Routinen, Effizienzlogiken, ins „So macht man’s halt“. Dabei wissen wir längst oder zumindest ahnen wir es: Was vor uns liegt, ist mehr als nur eine Optimierung. Es ist ein grundlegender Wandel: in Denken, Fühlen, Handeln.
Natur als Lehrmeisterin: Blumenwiesen und Systeme im Umbruch
Gestern Samstag dann stand ich seeeeehr früh auf und war in einem meiner Lieblingstäler wandern: Das Maderanertal; ein Ort voller Weite, eiskalter Bäche, wunderschöner Berge und aktuell unfassbar vielen bunten Blüten, der für mich einen Gegenpol bot zur Dichte der Gespräche.
Und so unterwegs, schwang etwas mit, was ich am Montagabend anlässlich eines Webinars der Pioneers of Change kennengelernt hatte:
Es geht um ein Gespräch mit Martin Grassberger. Er ist Arzt, Biologe, Umweltmediziner und Autor des Buches „Regeneration – Das verlorene Wissen vom Werden und Vergehen“. Er beschreibt die Lebenszyklen von Systemen mit dem Bild einer liegenden Acht: Wachstum, Erhalt, Verfestigung- bis zur Erstarrung. Und dann? Entweder das Abgleiten in den Zerfall oder die Entscheidung für einen echten Neuanfang.
Wo stehen wir als Gesellschaft heute? Grassberger sieht uns an einem kritischen Punkt: Inmitten hoher Komplexität, aber oft ohne echte Anpassungsfähigkeit. Verwoben in Regulierungen, getrieben vom Effizienzdenken, oft entfremdet vom Lebendigen.
Viele spüren intuitiv: So wie es ist, geht es nicht weiter. Doch genau dort, wo Strukturen hart werden, kann auch Neues entstehen. Hmm – aber nur, wenn wir bereit sind, loszulassen! Regeneration ist möglich, sagt Grassberger. Aber sie verlangt mehr als Reformen. Es braucht eine Rückbesinnung auf lebendige Prinzipien:
Rhythmen statt Taktung. Selbstregulation statt Kontrolle. Vielfalt statt Monokultur. Und was besonders resoniert mit mir: Raum für Neues statt Optimierung des Alten.
Dabei ist das kein Plädoyer gegen Fortschritt ganz im Gegenteil. Technologie, Wissen, all das darf uns dienen. Doch ohne eine innere Bewegung, hin zu Verbindung, Bewusstheit und einem neuen Umgang mit Komplexität, bleibt Wandel nur Oberfläche.
Und da wandernd in der frischen Bergluft, zwischen Felsen, Blüten und Bachläufen, war es, als würde mein Körper begreifen, wovon Grassberger spricht. Lebendigkeit entsteht nicht im Korsett. Sie braucht Offenheit, Spielraum, Vertrauen, Zuhören können und Mut.
Was jetzt zählt
Und so komme ich wieder mit einem meiner Lieblingsframeworks um die Ecke – yep – sorrynotsorry 😉 – übrigens aber eines von vielen, die ich anwende. Aber dieses hier ist für mich wie das Sackmesser unter den Landkarten: Die Meta-Landkarte für mein Tun, neben der integralen Entwicklungslandkarte.
Die Inner Development Goals als eine Einladung, wirklich bei sich zu sein, den eigenen Kompass zu schärfen, in Verbindung zu gehen. Mit sich selbst, mit anderen, mit der Welt.
Es geht nicht darum, alles perfekt zu machen, sondern dran zu bleiben, zu üben, neugierig zu bleiben. Vielleicht ist genau das jetzt unsere Aufgabe: weniger nach schnellen Lösungen zu suchen, mehr miteinander zu lauschen, zu probieren.
Und dabei ganz praktisch: zuhören, kooperieren, bewusst gestalten –
und sich mutig in neue Räume wagen. So, wie ich es tue: einfach Neues ausprobieren und sich vernetzen.