Der Reiz der Balance zwischen Alt und Neu
„Bewährtes pflegen und neue Räume öffnen.“ Diese Aussage fasziniert und stresst mich gleichzeitig, seit sie mir letzte Woche auf einem Plakat bei einer Kirche begegnet ist. Einerseits wusste ich sofort, dass ich daraus etwas lernen kann. Andererseits hat es eine Weile gedauert, bis ich die beiden Gegensätze auch für mich in eine Balance bringen konnte. Erst beim Schreiben heute früh wurde mir bewusst, dass sich diese Balance über die Jahre klammheimlich, aber stetig verbessert hat.
Team „Neue Räume öffnen“
Ich würde mich eindeutig dem Team „neue Räume öffnen“ zuordnen. In meinen Workshops, die häufig das Sichtbarmachen und Wertschätzen der Unterschiede von uns Menschen (für ein zukunftsfähiges Mitsich- und Miteinander … du kennst es inzwischen ;-)) zum Ziel haben, arbeite ich oft mit dem Riemann-Thomann-Modell. Dieses psychologische Modell beschreibt menschliche Persönlichkeit und Verhalten anhand von vier zentralen Dimensionen: Distanz, Nähe, Dauer und Wechsel.
Verstehen durch das Riemann-Thomann-Modell
Je nach Ausprägung der Grundausrichtungen sind entsprechende Bedürfnisse (Motivationen), Werte und „Lebensphilosophien“ vorherrschend und zeigen sich im zwischenmenschlichen Verhalten. Und damit auch Arten und Weisen, mit Krisen und Missstimmungen umzugehen, was viel mit Teamdynamiken zu tun hat. Gerade in Zeiten steter Veränderung. Ich selbst verorte mich auf der Achse Dauer-Wechsel sehr stark im Wechsel-Bereich. Ich lasse mich gerne von den unterschiedlichsten Reizen leiten, gehe verschiedenen Ideen nach und passe mich ausserordentlich gut und unkompliziert an wechselnde Situationen an.
Der Blick auf das Bewährte
Doch stimmt das wirklich für mich? Wo setze ich doch bewusst auf Bewährtes oder auch neu auf Bewährtes?
Hier sind zwei Beispiele, die sich gerade auch im Unterwegssein zeigen und eventuell auch dadurch entwickelt haben. (Wandern ist eben nicht nur im Aussen horizonterweiternd ..)
Lernen von der Natur
Früher fand ich es seltsam, dass ich kaum eine der Pflanzen und Blumen in meiner Umgebung benennen oder ihre „Kräfte“ kennen konnte. Ich begann mühsam, mich intensiv damit zu beschäftigen. Inzwischen kann ich wandernd nicht nur Bauchkrämpfe mit einem Kraut behandeln, sondern auch nötige Vitamine zuzuführen. Ich lerne und lese stetig dazu und bedaure es unendlich, dass ich meine Vorfahren, die noch viel über unsere Fauna und Flora wussten, nicht mehr dazu befragen kann. Ein Wissen, das ich lange übersehen hatte.
Geschichten, die Orte zum Leben erwecken
Ausserdem interessieren mich die Geschichten der Orte, an denen ich Gast bin, und die Menschen, die diese Orte geprägt haben. Ihre Ideen und Visionen faszinieren mich immer wieder. Das begann bereits in den 90ern als ich den Geschichten der Inka, Maya und Mapuche – so wie deren Spuren vom nördlichen Guatemala bis nach Feuerland begegnen durfte.
Besonders beeindruckend finde ich zudem, wie vorausschauend einige Menschen waren, auch hier bei uns! Etwas jene, die die alten Bäume in den Parks und an der Sihl in Zürich pflanzten.
Was als Schulkind ein Graus war, inspiriert mich heute. Ich bin eine begeisterte (Outdoor)Museumsgängerin und kann immer wieder Geschichten als Metaphern in meine Reflektionsräume einbauen. Mein Storytelling wurde dank Traditionen und Bewährtem um einiges bunter.
Dein Platz auf der Achse Bewährtes/Neues ist ebenfalls gestaltbar
Und wie ist es bei dir? Wo würdest du dich auf der Achse Bewahren/Neues gestalten verorten? Und was macht das mit dir (oder auch nicht …;-)?
Das Abschlusswort gebe ich gerne George Bernard Shaw, der aus Irland. Einem Land mit sehr faszinierenden Traditionen und – was ich besonders liebe – Leprechaun-Geschichten – stammt:
„Tradition ist eine Laterne, der Dumme hält sich an ihr fest, dem Klugen leuchtet sie den Weg.“